Design Case:

Konstrukt der kommerzialisierten Selbsthilfe

Wir le­ben in einer Kul­tur, die uns stän­dig sagt, dass wir „bes­ser“ sein kön­n­­ten. Mehr Fo­kus. Mehr Ba­lan­ce. Mehr Mo­­ti­va­­ti­on. Ge­ra­­de di­gi­­ta­le Selbst­hil­fe ist für jun­ge Men­­schen heu­te all­­ge­gen­wär­­tig: Soci­al­Me­dia-Al­go­­rit­h­­men lie­fern Selbst­­op­ti­­mie­rungs-Tipps mit­un­ter un­ge­fragt, wäh­­rend Creator:­in­nen und Rat­ge­ber­li­te­ra­tur ei­ne rie­si­ge Reich­wei­te bie­ten für psy­cho­lo­gi­sches Wis­sen und Un­wis­sen.

Mit­ten in die­ser Op­ti­mie­rungs­ku­lis­se ent­stand Opti-Me als ein illus­trier­tes Print­ma­ga­zin, das Ori­en­tie­rung schafft, ohne sich selbst als Lö­sung an­zu­bie­ten. Ein Rat­ge­ber, der kei­ner sein will – und ge­ra­de da­durch funk­tio­niert.

Im Hin­ter­grund be­leuch­tet mei­ne Ba­che­l­or­theo­rie die kom­mer­zia­li­sier­te Selbst­hil­fe kri­tisch und aus­führ­lich und bil­det die Grund­la­ge für die­se prak­ti­sche Ar­beit, wel­che Ori­en­tie­rung bie­tet, ohne selbst in die Fal­len des Gen­res zu tre­ten.

Ausgangspunkt:
Die Mechanik moderner Selbsthilfe verstehen

Die praktische Ar­beit ent­stand aus ei­ner tief­ge­hen­den theo­re­ti­schen Un­ter­su­chung der Selbst­hil­fe: ih­rer Ge­schich­te, ih­rer di­gi­ta­len Trans­for­ma­ti­on und der psy­cho­lo­gi­schen Me­cha­nis­men, die das Gen­re so er­folg­reich (und mit­un­ter pro­ble­ma­tisch) ma­chen.

Die Theo­rie zeig­te, wie sehr der Markt für Selbst­hil­fe jun­ge Men­schen an­spricht, wie op­ti­mie­rungs­ge­trie­ben vie­le In­hal­te sind und wie schnell die Gren­ze zwi­schen Un­ter­stüt­zung und Druck ver­schwimmt. Ge­nau die­ses kom­ple­xe Ge­fü­ge soll­te vi­su­ell über­setzt wer­den – zu­gäng­lich und kon­struk­tiv.

Zielsetzung

Opti-Me richtet sich pri­mär an Men­schen zwi­schen 17 und 27 Jah­ren – ei­ne Ge­ne­ra­ti­on, die sich im di­gi­ta­len Raum selbst­ver­ständ­lich be­wegt und gleich­zei­tig zu­neh­mend mit Men­tal-Health­-In­hal­ten kon­fron­tiert ist. Das Ma­ga­zin will:

  • aufklären, statt Lösungen zu versprechen
  • komplexe Zusammenhänge verständlich machen, ohne sie zu banalisieren
  • kritisches Denken fördern, ohne moralisch aufzutreten
  • eine Meta-Ebene einführen, die Selbsthilfe erklärt, statt sie zu imitieren

Es soll Leser:innen an einen Punkt bringen, an dem sie Selbsthilfe reflektiert konsumieren – nicht unkritisch übernehmen.

Konzept: Ein Ratgeber über Ratgeber?

Das Herzstück von Opti-Me ist sei­ne iro­ni­sche Po­si­tio­nie­rung: Es ist ein „Rat­ge­ber“, der die Me­cha­nik von Rat­ge­bern ent­larvt. Die­se Dop­pel­rol­le macht das Pro­jekt be­son­ders:

  • Es verwendet die vertraute Form des Ratgebers als „trojanisches Pferd“, um Leser:innen anzuziehen.
  • Gleichzeitig bricht es typische Versprechen und Formeln bewusst auf.
  • Illustration, Sprache und Struktur arbeiten gemeinsam daran, die Mechaniken des Genres sichtbar zu machen.

Das Magazin zeigt, wie Selbst­hilfe in­spi­rie­ren kann – aber auch, wo sie ge­fähr­lich wird: et­wa bei un­rea­lis­ti­schen Selbst­an­sprü­chen, Kon­sum­lo­gi­ken oder der Ver­su­chung, pro­fes­sio­nel­le Hil­fe durch schnel­le Lö­sun­gen zu er­set­zen.

Gestaltung & Stil

Das visuelle Konzept ver­bin­det Illus­tra­ti­on, Ty­po­gra­fie und ma­ga­zin­ar­ti­ge Struk­tur zu ei­nem so­ge­nann­ten Gra­phic Ma­ga­zi­ne. Die Ge­stal­tung ori­en­tiert sich an:

  • einer prägnanten Gelb-Schwarz-Palette, die visuell heraussticht und als Warnsignal wie als Einladung funktioniert
  • einer Mischung aus erzählerischer Illustration und klarer Informationsgrafik
  • zugänglicher, reduzierter Sprache, die ohne akademisches Vorwissen auskommt
  • kurzen Doppelseiten, die sowohl sequenziell als auch einzeln lesbar sind

Die Bildwelt bewegt sich zwischen Humor und Ernsthaftigkeit, was die manchmal paradoxen Aspekte des Themas spiegelt.

Inhalte des Magazins

Die Inhalte sind bewusst kompakt gehalten – informativ, aber nicht überfordernd.
Jede Doppelseite behandelt einen Kernaspekt des Themas, darunter:

  • Die Geschichte der Selbsthilfe
  • Digital gebündelte Selbsthilfe und Social-Media-Mechanismen
  • Konsum & Kommerz in der Selbstfürsorge
  • Unrealistische Selbstansprüche & Optimierungsdruck
  • Grenzen der Selbsthilfe und der Wert professioneller Hilfe
  • Die Rolle von Gemeinschaft

Designprozess

Zu den eingesetzten Werkzeugen gehören:

  • digitale Illustration
  • typografisches Layout für Print
  • Recherche & inhaltliche Synthese
  • experimentelle Bildsprache
  • Iteration anhand von Seiten-Layouts und Storytelling-Strukturen

Der Pro­zess war eng mit der Theo­rie ver­zahnt – die In­hal­te ent­stan­den nicht als rei­ne Zu­sam­men­fas­sung, son­dern als vi­su­el­le Über­set­zung ei­nes kom­ple­xen Dis­kur­ses.

Warum Print?

Obwohl das Thema aus der digitalen Welt stammt,
wurde bewusst ein physisches Magazin gewählt. Print bietet:

  • Entschleunigung und Konzentration
  • Abstand vom algorithmischen Feed-System
  • eine sinnliche, haptische Auseinandersetzung
  • die Möglichkeit, Inhalte ohne Ablenkung zu erschließen

So wird das Ma­ga­zin selbst zum Ge­gen­mo­dell der di­gi­ta­len
Schnell­kon­sum-Kul­tur, die es kri­tisch be­leuch­tet.

Ergebnis

Opti-Me ist ein niedrig­schwel­li­ger, illus­tra­ti­ver Zu­gang zu ei­nem The­ma, das vie­le jun­ge Men­schen di­rekt be­trifft. Das Ma­ga­zin zeigt, wie Ge­stal­tung Wis­sen zu­gäng­lich ma­chen kann – und wie Illus­tra­ti­on hel­fen kann, kom­ple­xe The­men emo­tio­nal, hu­mor­voll und klar zu ver­mit­teln.

Es ist we­der Anti-Selbst­hil­fe noch Pro-Selbst­hil­fe. Es ist ein Werk­zeug, um das Gen­re zu ver­ste­hen. Ein Kom­pass statt ei­nes Weg­wei­sers und ein Bei­spiel da­für, wie De­sign ei­nen auf­ge­klär­ten und selbst­be­stimm­ten Um­gang mit mo­der­nen Nar­ra­ti­ven er­mög­li­chen kann.